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Weg vom Schmuddelimage

13.08.2019

STEFAN NERTINGER - Leiter Forschungsprojekt Pop Up City (gemeinsam mit den Städten Zürich, St. Gallen, Pop Up Shop GmbH und NTB Buchs, fhsg,ch/popupcity). TEXT DANIELA PALUMBO FOTO ZVG

Als Outlet Store oder Showroom können Zwischennutzungen auch im Hochpreissegment sehr erfolgreich sein, sagt Stefan Nertinger, Dozent am Institut für Unternehmensführung der St. Galler Fachhochschule und Experte für Ladensterben.

Stefan Nertinger, wie viele leere Gebäude verträgt eine Stadt?
Es kann schon reichen, wenn wenige Läden an zentraler Lage leer stehen, um eine Abwärtsspirale zu befeuern. Das Ladensterben überträgt sich wie eine ansteckende Krankheit, weil wir als Konsumenten Aufenthaltsqualität immer ganzheitlich wahrnehmen.

Der Strukturwandel im Detailhandel zwingt viele Geschäfte zur Schliessung. Sind Pop-ups das Heilmittel dagegen?
Nein, aber sie spiegeln einen Teil der möglichen Antwort wider. Das Thema Ladensterben in Städten kennen wir schon relativ lang. In den 60er-Jahren sagte man, der Versandhandel mache die Städte kaputt, bringe die Läden zum Verschwinden. Später waren es die Fachmarktzentren am Stadtrand, dann die Shoppingzentren in den Städten und man sagte, das zerstöre die Innenstädte. Was wir jetzt mit dem Onlinehandel erleben, ist aber anders.

Wie?
Die Kundenreise hat sich zum einen verändert. Sie beginnt in zwei von drei Fällen immer digital: Wie wird das Produkt bewertet? Was sagen meine Freunde in den Social Media dazu? Gleichzeitig ist der Kunde viel aufgeklärter. Man kann mit den mobilen Geräten jederzeit Preise und Services vergleichen. Der stationäre Laden bekommt eine andere Aufgabe. Früher war er «Vollsortimenter»: Er hatte sowohl eine Versorgungs-, Lager- als auch eine Verteilfunktion.

Welche Aufgaben hat der Laden heute noch?
Eine Marketingfunktion. Man generiert Leads für die digitalen Kanäle. Im Laden kann man ein Produkt in die Hand nehmen und später online bestellen. Er hat eine Branding-Funktion. Man erreicht Kunden, kreiert einen Markt und erhebt Daten zum Kundenverhalten. Manchmal hat der Laden noch die Funktion einer Transaktion. Man kann direkt einkaufen.

Welches Potenzial bieten Pop-ups?
Pop-ups stellen alle diese einzelnen Funktionen sehr gut dar und zeigen die sich verändernde Dynamik des Handels. Die Zeiten, in denen man Ankermieter hatte, die sich für zehn Jahre einmieteten und neunzig Prozent Fixmiete und zehn Prozent je nach Umsatz zahlten, die sind vermutlich definitiv vorbei. Der Verkauf bewegt sich in eine dynamische Richtung. Im Textilhandel etwa möchte ich eine Kollektion nur ein paar Wochen präsentieren. Kunden können sie dann online bestellen. Bei stationärem Marketing weiss ich genau, wie viele Kontakte ich hatte und wer den Laden besucht hat. So wird der Laden nur noch zum Marketinginstrument. Das ist nicht einfach zu verstehen, denn wir reden noch wenig vom Händler, sondern mehr vom Laden.

Welche Akteure sträuben sich am meisten gegen Zwischennutzungen?
Wir haben bei institutionellen Anlegern oder Fonds die Problematik, dass sie bei Zwischennutzungen eine deutliche Abwertung ihrer Miete erwarten und dadurch unter Umständen Abschreiber fällig werden.

Und Private?
Bei diesen Eigentümern merkt man gewisse Vorbehalte hinsichtlich der Seriosität von Zwischennutzungskonzepten. Gehen die Mieter wieder raus? Bezahlen sie die Miete? Private haben immer noch die Sehnsucht nach dem Ankermieter. Die Branche ist in den letzten zwanzig Jahren enorm gut gelaufen. Man hatte ein relativ komfortables Geschäftsmodell. Auf einmal kommt ein kleinteiliges Management mit einem Pop-up, das einem womöglich viel Aufwand verursacht und die Erträge reichen nicht an das alte Niveau heran.

Verschlafen Vermieter somit ihren Untergang?
Wenn sie rechtzeitig aufwachen …

Wer kann sie aufwecken?
Die Zahlen können sie aufwecken. Forschungsprojekte, wie wir sie betreiben, in denen wir aktiv für den Ansatz Pop-up-Shop werben und gleichzeitig auch wissenschaftlich deutlich machen, ob es sich lohnt oder nicht. Wobei das Konzept ziemlich jung und innovativ ist, weshalb es für abschliessende Bewertungen weiterer Forschung bedarf.

Welche Pop-up-Konzepte sind Erfolg versprechend?
Das Pop-up hat einen solchen Charme, dass man als hochpreisige Marke abverkaufen kann. Weil ein Pop-up nicht unbedingt mit dem klassischen Verkaufskanal assoziiert wird. Über Pop-up kann auch mal Hugo Boss für die Hälfte abverkaufen, ohne die Marke abzuwerten. Der Tod tritt ein, wenn die Marke für wenig Geld auf dem Wühltisch landet. Beim Pop-up haben wir diesen Effekt eben nicht. Pop-ups sind ein spannender Kanal für Outlets. Gleichzeitig hat der Showroom enorm Erfolg: Wenn Automobilhändler etwa einen Tesla in die Innenstadt setzen – das sind emotionale Produkte, die erklärungsbedürftig sind und nach Haptik schreien. Die wenigsten kaufen ein Auto rein online. Man muss es erlebt haben.

Was sonst?
Die Onlinehändler gehen über die Pop-up-Stores in die Fläche. Mymuesli hat mit Pop-ups begonnen und dann stationäre Ladenlokale eröffnet. Amazon schafft in Deutschland und Frankreich stark über Pop-ups. Der zweitgrösste Onlinehändler der Welt Alibaba tätigte den grössten Teil seiner Investitionen in Läden. Wir werden in Zukunft sicher weiterhin stationären Handel haben. Die neue Welt wird so sein, dass man auf mehreren Kanälen präsent sein wird und es gar nicht so relevant ist, auf welchem Kanal der Kunde kauft, solange er irgendwo kauft.

Dynamisches Denken ist gefragt. Was bedeutet das für die Liegenschaftseigentümer?
Der Kunde hat sich in der Nachfragestruktur stark verändert. Da muss ich mich auch als Flächeneigentümer dynamisieren. Wird der Kunde dynamischer, muss ich auch dynamischer werden. Es bringt nichts, wenn man in den alten Schuhen bleibt, weil man dem Kunden nicht mehr folgen kann.

Wie bringt man Händlern dynamisches Denken bei?
Jeder muss aufgrund seiner Kompetenzen selbst entscheiden. Nicht jeder muss Pop-ups machen oder alle digitalen Kanäle bespielen. Aber man muss sich vergegenwärtigen: Wo schaffe ich für den Kunden nutzen? Wo schaffe ich diesen Nutzen auch in der digitalen Welt? In St. Gallen haben wir einen Kleiderladen, der im Hochpreissegment agiert und keinen Onlineshop hat. Er ist aber enorm erfolgreich, weil er den USP in erfolgreiche Beratung und Ambiente setzt. Gehen Sie als Kundin hinaus, gibt es ein Glas Prosecco. Der Verzicht auf einen Onlineshop ist eine klare strategische Entscheidung, bei der man die Scheuklappen weit aufgemacht und sich überlegt hat: Ist es tragfähig für mein Geschäftsmodell? Auch beim Pop-up muss man schauen, ob es für einen Sinn macht.

Wie wichtig sind soziale Medien bei Pop-ups?
Die Einbettung des Pop-ups in soziale Medien ist erfolgsträchtig. Das Konzept hängt ab von Verknappung und Überraschung, und das muss ich entsprechend medial begleiten. Man kann aber auch bewusst auf Social Media verzichten und auf den Überraschungseffekt vor Ort setzen. Man kennt es vom Soft Opening von Hotels. Oder Ford hat in St. Gallen ohne Ankündigung über das Wochen-ende einen kleinen Pop-up-Showroom eröffnet. Dort stand der Fiesta drin.

Welches Fazit lässt sich aus dem wissenschaftlich begleiteten Projekt «Zukunft der St. Galler Innenstadt» hinsichtlich von Pop-ups bereits ziehen?
Wir merken, dass wir im letzten Jahr die Wahrnehmung und den Umgang verändert haben. Weg von einem sehr pessimistischen Bild zu einem Ansatz der Partizipation. Weg vom schmuddeligen Konzept von Hausbesetzern zu Zwischennutzungen – auch in einem sehr wertigen Segment.

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