Stylish und glamourös soll Weihnachten dieses Jahr werden. So suggeriert es die Werbung da und dort. Ein smarter Zug, Style und Glamour sind religions- und kulturneutral. Dazu eine Prise Kerzenschein und die Familie vereint: Weihnachten für alle sozusagen. Schön, aber irgendwie traurig, denn diese Zeit ist soviel mehr. Sie verbindet. Und genau da kommt das Guetzli ins Spiel.
«'S Chrischtchindli und dä Samichlaus ässäd zum Znüni Guetzli und Chäschüechli usem Chuchichäschtli» – Schnabelwetzer sind lustig, schweizerdeutsche ganz besonders. Kulinarisch gesehen, ist obiger Satz eine spannende Kombination, noch interessanter ist jedoch das Zusammentreffen von Christkind und Nikolaus. Da handelt es sich um eine (politisch nicht ganz unbelastete) ökumenische Zwischenmahlzeit.
Ein Blick in die Geschichte: Die Protestanten lehnten im Mittelalter die Heiligenverehrung ab und ersetzten den heiligen Nikolaus (aus der heutigen Türkei), durch das Christkind (aus dem heutigen Israel). Für die Kinder veränderte diese Aktion lediglich den Tag der Beschenkung. Phonetisch jedenfalls passen die zwei gut zusammen, und ihr Znüni hat eine reiche Vergangenheit.
Schon in vorchristlicher Zeit wurde mit süssem Gebäck gefeiert. Dieses wurde zur Wintersonnenwende gegessen oder als Opferbrot für die Götter an Fäden in den Wind gehängt. Gängig waren Tiere aus Teig, was bis heute nebst Herzen und Sternen beliebte Ausstechmotive geblieben sind. Viele Guetzli haben ihren Ursprung dort, wo im Spätmittelalter heilkundige Menschen mit Kräutern und Gewürzen arbeiteten, meistens in den Klöstern. Gewürze wie Zimt, Anis, Vanille und Kardamom bereicherten via Seidenstrasse die westlichen Backstuben und beeinflussten das Geschmacksempfinden unserer Vorfahren. Zusammen mit Getränken, die ihren Ursprung in Zentralamerika und Afrika haben, hielten die Guetzli im 18. Jahrhundert Einzug in die feinen Teestuben Europas.
Gewürze sei Dank
Die Suche nach dem hierzulande belieb testen Weihnachtsguetzli führte mich natürlich zum Mailänderli, obwohl auch Chantal Bründlers agiles Sablé hoch im Kurs steht. Dieses stammt wie die von Michela Gallucci beschriebenen Cantucci höchstwahrscheinlich aus Italien und war unter dem Namen Gâteau de Milan bekannt. Seine Zutaten waren lokal erhältlich. Es erinnert mich an meine Kindheit, so wie es die russischen Prjaniki Yulia Eckerts tun. Diese wurden ursprünglich aus einheimischem Roggenmehl, Honig und Beerensaft hergestellt. Zu ihrem historischen Namen kamen sie jedoch erst, nachdem man angefangen hatte, Gewürze («prjanosti») aus Indien und dem Nahen Osten beizumengen. So taten das auch die Schwaben und erfanden den Asteroiden am Guetzlihimmel: den Zimtstern. Auch Bushra Buff-Kazmi liess ihn schliesslich an ihrem Horizont erstrahlen. Eine Entdeckung sind die Roscos de Vino, deren Geschmack Estefania Zinggs Suche nach der urandalusischen Herkunft nebensächlich macht. Dass auch die Schaffhauser schon vor über 100 Jahren offen für neue kulinarische Einflüsse waren, beweist das traditionelle Wii-Guetzli. Die wichtigste Zutat: die Gewürzmischung aus Nelken, Zimt, Sandelholz und Zucker. Sie wird von der Firma Rito in Stein am Rhein seit über 100 Jahren hergestellt. Auch ein pensionierter Drogist aus der gleichen Stadt stellt jeden Herbst ein «Weinguteli-Gewürz» zusammen. Er hat das Rezept von seinem Vorvorgänger, der im Jahr 1909 die Drogerie eröffnete, übernommen. Vermutlich gab es das Wii-Guetzli aber schon früher. Entstanden ist es in der Schaffhauser Bauernküche. Die Bäuerin nahm zum Backen, was der eigene Hof bot; im Weinanbaugebiet war das auch Wein. Die Rezepte werden sorgsam von Generation zu Generation weitergereicht – so auch in der Familie von Simon Stocker, dem Integres-Präsidenten.
Ein echter Kracher
Der Migration sei Dank erleben wir mit Ali Bicers (von Michael Streif entdeckt) dattelgefüllten Sesamkugeln eine weitere Bereicherung des hiesigen Guetzliwissens. Was indes einen echten Züri-Tirggel nebst Gewürzen wie Nelken, Zimt und Anis sowie Rosenöl wirklich auszeichnet, ist die Tatsache, dass man beim Beissen derart Krach macht, dass das Bundesamt für Gesundheit rät, beim Essen einen Gehörschutz zu tragen. Da bleibt mir, wie Janina Drews, nur ein (Mandel)-Seufzer übrig …