Schaffhausen ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort und hat auch im vergangenen Jahr 25 neue Unternehmen angezogen. Doch der Kanton steht vor grossen finanziellen und strukturellen Herausforderungen. Die demografische Entwicklung wird in den kommenden Jahren markant zum wachsenden Budgetdefizit des Kantons beitragen. Wirtschaftsförderer Thomas Holenstein forderte am Jahresgespräch der Wirtschaftsförderung die zahlreichen Vertreter aus Politik, Wirt- schaft und Verwaltung zu dringendem gemeinsamem Handeln auf. Er präsentierte innovative Ideen, wie das von der Regierung geplante und für die Haushaltssanierung notwendige Wachs- tum realisiert werden könnte bei gleichzeitigem Stoppen der drohenden Zersiedelung.
Der Delegierte für Wirtschaftsförderung, Thomas Holenstein, hat am Dienstag, nach einer Begrüssung durch Volkswirtschaftsdirektor Ernst Landolt, über die Tätigkeiten der Schaffhauser Wirtschaftsförde- rung im vergangenen Jahr informiert. 2012 konnte die Wirtschaftsförderung trotz massiv erhöhter internationaler Verunsicherung bezüglich Steuerfragen 25 Unternehmen im Kanton ansiedeln.
Schaffhausen auf Rang 1
Die Gründung der Wirtschaftsförderung 1997 war eine Folge der jahrelangen Rezession verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit. In der Zwischenzeit hat sich die Situation grundlegend verbessert; vor allem dank zugezogener multinationaler Firmen. Dies zeigt auch die soeben publizierte Erhebung der Boston Consulting Group eindrücklich. Darin wird untersucht, wie viele Prozent am Bruttoinlandprodukt eines Kantons die multinationalen Gesellschaften erbringen. Schaffhausen hat in den letzten zehn Jahren den Sprung ganz an die Spitze geschafft und liegt mit 23% auf Rang 1 vor Genf und Zürich. Regierung und Parlament haben diese Chance in der Vergangenheit für Steuersenkungen und Standort-Attraktivierungen genutzt - heute ist Schaffhausen im internationalen Vergleich gut positioniert.
Externer Druck auf Schaffhausen
Trotzdem sind eindeutige Alarmzeichen vorhanden, dass sich die Zeiten ändern: So setzt die zunehmende Konkurrenzfähigkeit der stark wachsenden asiatischen Länder den Wirtschaftsstandort Europa und damit auch die Schweiz unter Druck. Gleichzeitig kann Europa die Folgen der Finanz- und Eurokrise nicht überwinden und immer mehr Staaten geraten in finanzielle Probleme. Parallel zu dieser Entwicklung wird die Schweizer Steuerpraxis von verschiedenen Staaten und Organisationen angegriffen. Für Schaffhausen und die Schweiz ist diese Bedrohung von grosser Bedeutung.
Hausgemachte Probleme
Neben diesem externen Druck kämpft Schaffhausen auch mit hausgemachten Strukturproblemen. Das Kantonsdefizit umfasst bereits heute einen zweistelligen Millionenbetrag. Dieses droht künftig noch weiter zu wachsen vor allem aufgrund der Demografie Schaffhausens. Mit einem Anteil von 15.7% der über 65-Jährigen gehört Schaffhausens zu den ältesten Kantonen der Schweiz. Schon heute verursacht diese Altersgruppe 45% der Gesundheitskosten. Nun verschärft sich die Kostenproblematik rapid, denn in den nächsten 20 Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter. Dies führt allein im Gesundheitsbereich - ohne Sozialkosten - bis 2020 stufenweise zu einem jährlichen Mehraufwand von CHF 40 Mio. im Kantonsbudget. Kombiniert mit Investitionsvorhaben wie dem neuen Spital, stellt dies den Kanton Schaffhausen vor riesige finanzielle Herausforderungen. Eine Verjüngung der Bevölkerung ist darum zentral. Bei der aktuellen Geburtenrate ist Schaffhausen dabei auf Zuziehende angewiesen, andernfalls droht ein rascher Rückgang der Bevölkerungszahlen.
Moderates Wachstum nötig zu viel oder zu wenig gefährlich
Thomas Holenstein stellte drei Wachstumsszenarien vor, als erstes dasjenige des Regierungsrats, welcher ein moderates jährliches Bevölkerungswachstum von 0.5 bis 0.8% anstrebt. Dieses führt bis ca. 2030 zu einer Bevölkerung von rund 85000 - 90000 Einwohnern; ist aber zwingend nötig, um die angestrebte Verjüngung zu erreichen. Ist die Verjüngung erreicht, kann die Bevölkerungszahl stabilisiert werden, zeigen Berechnungen. Das zweite Szenario sieht eine künstliche Wachstumsbremse vor, wie dies laufende politische Initiativen vorschlagen. Deren Konsequenz wäre bereits bis 2030 ein Bevölkerungsrückgang von rund 15%. Ausserdem würde eine politische Zuwanderungsbremse wohl zum Ende der bilateralen Verträge führen, denn für die EU ist die europäische Personenfreizügigkeit zentral. Folge wären grosse wirtschaftliche Schwierigkeiten, welche zwangsläufig zu einem Einbruch von Steuereinnahmen und abnehmender wirtschaftlicher Standortattraktivität führen würden. Bei einem solchen Szenario wäre vermutlich die Eigenständigkeit des Kantons gefährdet.
Doch auch das dritte Szenario, ein ungesteuertes Wachstum, ist nicht attraktiv. Die heutigen Baulandreserven reichen theoretisch für rund 150000 Menschen doch niemand will die Bevölkerungszahl von heute 78000 annähernd verdoppeln. Das am 6. März auch in Schaffhausen mit grossem Mehr angenommene Raumplanungsgesetz fordert denn auch ganz klar entsprechende Umzonungen. Nur: Die damit verbundenen Auszonungen sind entschädigungspflichtig in der Grössenordnung einer dreistelligen Millionenzahl. Geld dafür ist nirgends vorgesehen und auch nicht vorhanden. Doch ohne Steuerungsmechanismus, nur mit dem heutigen Richtplan und den aktuellen Bauzonen, wird sich eine Zersiedelung und eine Veragglomeratisierung der Schaffhauser Landschaft ergeben, wie sie heute in weiten Teilen des Mittellandes zu besichtigen ist. Gefragt wären hingegen Bauzonen in Stadtnähe, wo Infrastruktur und Erschliessung schon weitgehend gegeben sind.
Ein Gedankenexperiment zur Lösung des gordischen Knotens
Thomas Holenstein wagte am Jahresgespräch der Wirtschaftsförderung ein Gedankenexperiment, mit dem es möglich sein soll, den gordischen Knoten zwischen finanziellem Spielraum, moderatem Wachstum und dem Stoppen der Zersiedelung zu lösen. Holenstein stellt sich dabei vor, ein Gebiet von rund 1 km2 oder 0.3% der Kantonsfläche in Stadtnähe neu einzuzonen. Dadurch entstünde Wohnraum, der bereits gut erschlossen und attraktiv für neue Einwohner ist. Gleichzeitig könnten durch den Verkaufserlös von bis zu CHF 1 Mia. Auszonungs-Entschädigungen in schützenswerten Gebieten und Renaturierungen finanziert werden. Weiter erhielte die öffentliche Hand zusätzliche Einnahmen, welche für Zukunftsinvestitionen wie beispielsweise ein Spital oder ein Sicherheitszentrum genutzt werden könnten.
Instrumente müssen neu geschaffen werden
Dieses Gedankenexperiment ist jedoch nur dann chancenreich, wenn gleichzeitig ein neuer Finanzausgleich geschaffen wird, der es nicht nur ermöglicht, die Auszonungen aus Verkaufserlösen finanziell zu entschädigen, sondern zusätzlich die Landgemeinden auch am Steuerzuwachs des Zentrums beteiligt. Zwingend wäre deshalb, dass der Kanton Strukturreformen einleitet, wie sie von der GPK mit dem Projekt «Stadt und Land Hand in Hand» bereits vorgeschlagen wurden. Im Auftrag des Volkswirtschaftsdepartements hat die Wirtschaftsförderung die Idee von solchen Umzonungen gemeinsam mit dem Baudepartement und dem Finanzdepartement diskutiert. Der Regierung wird in den nächsten Wochen ein schweizweit neues, interdisziplinäres Pilotprojekt dieser drei Departemente mit der ETH Zürich beantragt. Dieses Projekt wird der Politik fundierte Daten inklusive konkreter Umzonungsmöglichkeiten und deren volkswirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen für die öffentliche Hand liefern. Regierungspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel betonte in ihrem Schlusswort, regieren hiesse vorausschauen, und die dargelegten Überlegungen seien für die Erhaltung des Wohlstands im Kanton Schaffhausen für die nächste Generation von grosser Bedeutung. Sie begrüsste die Ankündigung des Projekts mit der ETH Zürich; die Politik brauche jetzt verlässliche Analysen, Daten und Vorschläge. Dann liege es an der Politik, diese Vorschläge mit der notwendigen politischen Strukturreform zu verbinden. Nichts-Tun ist keine Option, so die Regierungspräsidentin abschliessend.
Rückblick: Die Schaffhauser Wirtschaftsförderung im 2012
Ansiedlungen
- 25 Firmenansiedlungen
- 3'156 neu geschaffene Arbeitsplätze durch Ansiedlungen seit 1997
- Internationale Unternehmen haben grossen Anteil am Wohlstand Schaffhausens. Ihr Anteil am kantonalen BIP liegt in Schaffhausen so hoch wie in keinem anderen Kanton. Dies belegt eine Studie der Boston Consulting Group. Schaffhausen liegt mit 23% auf dem ersten Platz, gefolgt von Genf (22%) und Zürich (21%). Noch im Jahr 2000 lag Schaffhausen lediglich im Mittelfeld.
Steuereffekte (im Berichtsjahr 2011)
- Gesamtsteuereffekt aller angesiedelter Firmen: CHF 60,4 Mio. (Vorjahr: CHF 61,4 Mio.)¨
- Rückgang der Erträge von juristischen Personen aufgrund konjunktureller Entwicklung auf CHF 32,2 Mio. (Vorjahr: CHF 37,7 Mio.)
- Indirekter Steuereffekt auf einheimisches Gewerbe: CHF 3,0 Mio. (Vorjahr: CHF 2,5 Mio.)
- Anstieg der geschätzten Steuereinnahmen aus Arbeitsplätzen angesiedelter Firmen auf CHF 25,2 Mio. (Vorjahr: CHF 21,2 Mio.)
- 59% der Steuereinnahmen beim Kanton; 41% bei Gemeinden
Bestandespflege
- Sechs grosse Bestandespflege-Projekte mit ansässigen Firmen abgewickelt
- Kumuliert über alle langjährigen Projekte ansässiger Firmen war die Wirtschaftsförderung beteiligt an der Erhaltung oder dem Ausbau von 3326 Arbeitsplätzen.
Technologieprojekte und Regionalentwicklung
- ITS Industrie- und Technozentrum Schaffhausen: 199 Technologievermittlungen und 28 Umsetzungsprojekte gemeinsam mit der regionalen Industrie
- RhyTech: 9 Technologie-Unternehmen sind im RhyTech Areal tätig und bilden eine erste Stufe zu Cluster in Materialwissenschaften
- IPI International Packaging Institute: Total 290 Seminarteilnehmer aus ganz Europa; 2/3 der Kosten durch eigenerwirtschaftete Mittel gedeckt
- Regional- und Standortentwicklung: 2012 wurden 14 neue Projekte bewilligt; davon 7 Machbarkeitsprojekte und 7 Themenprojekte
- Weitere erfolgreiche Projekte in den Bereichen Wohnortmarketing, Product Management Steuern sowie Wirtschaftsimpulse
(Diese Zahlen zeigen lediglich eine Auswahl sämtlicher Aktivitäten der Wirtschaftsförderung Schaffhausen.)